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Heilige Teresa von Avila ist Gegenpol zu Konsummentalität

In einem Interview für die Wiener Kirchenzeitung verweist der Deutsche Karmeliten-Provinzial Ulrich Dobhan OCD auf ungebrochene Aktualität der vor 500 Jahren geborenen spanischen Mystikerin. Lesen Sie hier das ungekürzte Interview:


1. Sie haben alle Werke der hl. Teresa ins Deutsche übersetzt. Was fasziniert Sie an dieser spanischen Karmelitin?

Provinzial Ulrich Dobhan OCD Provinzial Ulrich Dobhan OCD Die Übersetzung der Werke Teresas – von Anfang an zusammen mit Schwester Elisabeth Peeters OCD – begann im Jahr 2000, nachdem wir vorher schon die Werke des hl. Johannes vom Kreuz übersetzt hatten. Bis 2013 kamen nacheinander 8 Bände heraus, die jetzt zum Jubiläumsjahr in einer Überarbeitung in zwei Bänden herauskommen werden: Werke (ca. 1.900 Seiten) und Briefe (ca. 1.300). Während dieser Jahre intensiver Arbeit – neben all der anderen – lernten wir Teresa immer besser kennen, ihren Stil, ihre Persönlichkeit, ihren Mut, ihr Gottvertrauen, die Gabe für Kontakte und Freundschaft, ihre kaufmännischen Fähigkeiten, ihre Menschenkenntnis, aber auch ihre Grenzen, Phasen der Mutlosigkeit, usw. All das ist wirklich faszinierend.

2. Warum ist Teresas Frömmigkeit – gepaart mit Selbstkritik und Humor – so beispielhaft?

Teresas Fromm-Sein ist erdverbunden, nie abgehoben, immer selbstkritisch, aber keineswegs unterwürfig. „Wir sind keine Engel, sondern haben einen Leib. Uns zu Engeln aufschwingen zu wollen, während wir noch hier auf Erden leben – und dazu noch so sehr der Erde verhaftet, wie ich es war –, ist Unsinn“ (Leben 22,10) – dieser Satz ist beispielhaft für ihre Frömmigkeit und sagt viel mehr aus über sie als die vielen erfundenen Gebete oder Texte, die es über sie gibt, wie das „Gebet des älter werdenden Menschen“ oder das an den Herrn der Töpfe und Pfannen gerichtete; so geistlos war Teresa nicht! Die Grundlage ist ihre humildad – Demut, die sie definiert als „Leben in Wahrheit“ – einerseits hinfällig, vergänglich, erbärmlich, aus Erde – humus – gemacht zu sein, andererseits von Gott gemacht zu sein.

3. „Gott allein genügt“, sagte Teresa. Wie aktuell ist ihre Spiritualität?

„Gott allein genügt“ ist eine missverständliche deutsche Wiedergabe ihres „Sólo Dios basta“, und damit möchte sie sagen: Nur Gott ist groß genug, um allen Ansprüchen des Menschen zu genügen, weil der Mensch so groß ist und sich mit nichts Geringerem zufrieden geben soll – ganz im Sinn des berühmten Satzes des Johannes vom Kreuz: „Ein einziger Gedanke des Menschen ist mehr wert als die ganze Welt; darum ist nur Gott seiner würdig“ (Merksatz 34). Angesichts einer in erster Linie auf Konsum, Wellness und Nützlichkeit ausgerichteten Mentalität sagen die Heiligen des Karmel: Lebt nicht unter Eurer Würde! Begnügt euch nicht mit etwas, das euch nie genügen kann!

4. Trotz Krankheit(en) und Verleumdung hielt Teresa von Avila durch und gab nicht auf: Ist sie die Säulenheilige heutiger Reformerinnen und Reformer?

Teresa kann gewiss allen, denen an der Erneuerung der Kirche und Gesellschaft gelegen ist, Impulse geben und Mut machen, aber nicht, weil sie „asketische Höchstleistungen“ vollbracht oder sich „in höchste mystische Höhen aufgeschwungen hat,“ wie man selbst heute noch in manchen Darstellungen lesen oder hören kann, sondern weil sie überzeugt war: „Wenn ein so guter Freund dabei ist, zusammen mit einem so guten Anführer, der sich als Erster ins Leiden stürzte, kann man alles ertragen: Er hilft und gibt Kraft, er versagt nie, er ist ein echter Freund“ (Leben 22,6). Ihr Bemühen, aus dieser Freundschaft zu leben, verlieh ihr die Kraft zum Durchhalten.

5. Teresa und ihre Mitstreiterinnen tauschten die standesgemäße Kleidung feiner Klosterdamen gegen raue Wollstoffe und zogen die feinen Schuhe aus. „Descalzadas“ („Unbeschuhte“) nannte man sie deshalb. Was hat uns dieses „herumvagabundierende Weib“ (so Nuntius Felipe Sega) heute zu sagen?

Bezüglich der äußerlichen Zeichen für ihr neues Ordensideal bezog sich Teresa auf vieles, was damals üblich war, denn die Anhänger(inn)en von Reformbewegungen in den Orden nannte man schon vor Teresa Descalzos – Unbeschuht, vor allem die Franziskanerinnen. Das ist überhaupt nicht typisch für sie. Typisch für sie war, und deshalb hat sie der Nuntius nicht gemocht, dass sie für sich und ihre Schwestern das innere Beten reklamiert hat, also den persönlichen Umgangsstil mit dem menschgewordenen Gott, eine geistliche Freiheit, die sich nicht mit der Erledigung von (von Männern) vorgeschriebenen Gebetsformeln zufrieden geben wollte, sondern die Schwestern ermutigt, zu Gott Du zu sagen, je nach der persönlichen Verfassung: „Wenn ihr froh seid, dann schaut auf ihn als Auferstandenen, denn allein schon die Vorstellung, wie er aus dem Grab kam, wird euch froh machen. […] Wenn ihr in Nöten oder traurig seid, betrachtet ihn an der Geißelsäule, schmerzerfüllt, ganz zerfleischt wegen der großen Liebe, die er zu euch hat“ (Weg [CE] 42,4f.). Das hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Teresas inneres Beten ist keine „Meditationsmethode“, die man erlernen kann, sondern im wahrsten Sinn des Wortes eine echte Freundschaft. Was für diese gilt, gilt auch für jenes.

6. „Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt!“, sagte sie – wie aktuell ist Teresa in der Frauen-Frage?

Richtig lautet dieser Text: „…weil ich die Zeiten so sehe, dass es keinen Grund gibt, mutige und starke Seelen zu übergehen, und seien es die von Frauen“ (Weg [CE] 4,1). Teresas Feminismus besteht darin, dass sie sich zunächst als Frau ganz und gar angenommen hat; sie war überzeugt, aufgrund ihrer Erfahrung, „dass wir Frauen nicht so leicht zu durchschauen sind“ (Brief 135,7), wie die Männer, und seien es Beichtväter, meinen; sie durchschaute die Aufgeblasenheit vieler Theologen, auch kirchlicher Prälaten, wegen ihres Wissens und ihrer Titel, und wusste, wie die verheirateten Frauen eingeengt waren, selbst wenn sie zum Hochadel gehörten: „Das ist eine Knechtschaft, eine der Lügen der Welt, solche Menschen Herrschaften zu nennen, die nach meinem Dafürhalten nichts sind als Sklaven von tausenderlei Dingen“ (Leben 34,4), usw. Doch ihr eigentliches Fundament für ihren Feminismus war ihr Glaube, vom Gott Jesu Christi bedingungslos angenommen zu sein: „Du, Herr meiner Seele, dir hat vor den Frauen nicht gegraut, als du durch diese Welt zogst, im Gegenteil, du hast sie immer mit großem Mitgefühl bevorzugt, und hast bei ihnen genauso viel Liebe und mehr Glauben gefunden als bei den Männern“ (Weg [CE] 4,1) – eine Vorwegnahme heutiger Exegeseergebnisse zum Verhalten Jesu zu den Frauen.

7. Am 24. 8. 1562 gründete Teresa von Jesus in Avila das Kloster San Jose. Was war das Besondere dieses Reform-Klosters? War das eine Form von „Entweltlichung“?

Teresa hat am 24. August 1562 kein Reformkloster gegründet, sondern im damaligen Kontext der Kirchen- und Ordensreform einen ganz neuen Akzent gesetzt. Sie hat eben nicht die damals üblichen Reformvorstellungen und –praktiken übernommen. „Man darf Teresas Werk nicht einfach als eine Re-Forma betrachten, d. h. eine Ausrottung von Missständen und eine Neuorganisation des klösterlichen Lebens. Unsere Vorstellung vom Werk Teresas wäre sehr armselig, wenn wir in ihm nur eine Auflehnung gegen Missstände und organisatorische Mängel sähen. Die neue Form karmelitanischen Lebens, die sich mit ihrer klaren dogmatischen Zielsetzung zutiefst am Geist des Evangeliums und dem karmelitanischen eremitisch-kontemplativen Ideal inspiriert, darf weniger als Re-Forma, sondern muss vielmehr als ein Schöpfungs- und Gründungswerk bezeichnet werden, welches Mutter Teresa de Jesús unter die wichtigsten Gestalten der Kirche der Gegenreformation einreiht. Die reformatorische Akzentsetzung scheint nicht mehr als ein zweitrangiger Aspekt ihres Werkes zu sein.“ (O. Steggink). Das Besondere ihrer Gründung war, dass sie sich vom vorherrschenden Rigorismus gelöst und nicht in diesem Sinn eine „Reform“ durchgeführt hat; der Rigorismus aller Zeiten ist darauf aus, Gott durch Bußübungen und Gebete zu beeindrucken und gleichsam gnädig zu stimmen. Insofern ist es eine „Entweltlichung“, weil das Leistungsdenken typisch „weltlich“ ist.

8. Was bedeutet diese Kloster-Reform für die Ordens-Reformen heute?

Damit ist eigentlich auch schon gesagt, was Teresa Werk für heutige Reformen bedeutet, da es eine Rückbesinnung auf das Evangelium ist. Teresas Gottesbild ist zutiefst biblisch und eben nicht, wie heute auch in der Kirche oft vernehmbar, ambivalent, nach dem Motto: Gott ist die Liebe, aber er ist auch gerecht! Dem setzt Teresa entgegen, „den anzuschauen, der mich anschaut“ (Leben 13,22), und zwar immer, und immer mit seinem ganzen Wesen, das Liebe ist. Dieses Bild von Gott wirkt sich in der für Teresa typischen suavidad – Sanftheit aus, und nicht im Rigorismus, wo sie sich ganz mit Johannes vom Kreuz einverstanden erklärt, denn sie nennt ihn „den Vater meiner Seele“ (Brief 277,2), trotz aller gegenteiligen Behauptungen über ihn, bis in unsere Zeit hinein. Bei ihrem Gründungswerk, das im damaligen Kontext eben keine Reform ist, geht es um eine Wiederbelebung des Evangeliums in der alten Tradition des Karmel.

9. Teresa wird als Lehrmeisterin des Gebetes angerufen. Was hat sie uns heute dazu zu sagen?

Teresa ist Lehrmeisterin des Betens, was Paul VI. durch ihre Ernennung zur Kirchenlehrerin – der ersten in der Geschichte, am 27. September 1970 – endlich auch kirchenamtlich festgestellt hat, nachdem sie schon zu Lebzeiten von vielen Menschen, darunter auch von Theologen und Bischöfen, einschließlich des Großinquisitors, als solche anerkannt worden ist. Sie hat es meisterhaft verstanden, die immer wieder bedauerte Kluft zwischen Actio und Contemplatio zu überwinden, wenn sie Beten definiert als Lieben, „als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt“ (Leben 8,5), und eine Freundschaft kann nicht auf einige Augenblicke am Tag beschränkt sein, sondern besteht immer, und für eine wahre Freundschaft findet man immer Zeit – oder es ist keine Freundschaft. Unter Zeitmangel klagte auch sie immer wieder – kein Wunder bei der Unmenge von schätzungsweise 15.000 Briefen, die sie geschrieben hat, neben ihren anderen Schriften, abgesehen von den vielen Reisen und Verhandlungen; und das alles bei einer zeitlebens schlechten Gesundheit. Worauf es ankommt, ist, daran zu glauben, dass der in Jesus von Nazareth menschgewordene Gott uns immer liebt, und wer sich geliebt weiß, kann wachsen, sich entfalten: „Ich sah, dass er zwar Gott, aber auch Mensch war, der sich über die Schwächen der Menschen nicht entsetzt, sondern Verständnis hat für unsere armselige Lage […]. Ich kann mit ihm umgehen wie mit einem Freund, obwohl er doch Herr ist. Denn ich erkenne, dass er nicht ist wie die, die wir hier als Herren haben, die ihr ganzes Herr-Sein auf „Autoritätsprothesen“ gründen. Man braucht Sprechstunden und privilegierte Leute, die mit ihnen sprechen. Wenn es irgendein armer Kerl ist, der irgendein Anliegen hat, wird es ihm noch mehr Hin und Her und Beziehungen und Mühen kosten, es vorzubringen! Und wenn er es gar mit dem König zu tun hat, dann dürfen arme und nichtadelige Leute erst gar nicht hinzutreten, sondern man muss fragen, wer die einflussreichsten Günstlinge sind. Und das sind ganz gewiss nicht solche Personen, die die Welt unter ihren Füßen haben, denn solche sagen Wahrheiten, die sie weder fürchten noch schuldig bleiben; sie taugen nicht für den Palast, denn Wahrheiten dürfen dort nicht vorkommen, sondern man muss verschweigen, was einem schlecht erscheint, ja, sie dürfen noch nicht einmal wagen, es zu denken, um nicht in Ungnade zu fallen“ (Leben 37,5). – Teresas Beten als gesellschafts- und kirchenkritische Instanz!


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