Die Spiritualität aus den Quellen des Karmel
Die karmelitanische Art nach dem Evangelium zu leben, hat eine mehr als 800-jährige Geschichte. Die Wurzeln reichen bis ins frühe 13. Jahrhundert zurück. Damals entstand im Karmelgebirge, im Heiligen Land, der Stammorden aller heutigen karmelitanischen Gemeinschaften und mit ihm eine Spiritualität, die sich nach und nach vertiefen und entfalten sollte.
Ihren Ursprung verdankt diese Spiritualität ein paar Kreuzfahrern und Palästinapilgern, die sich um das Jahr 1200 im Karmelgebirge niederließen und zu einer Eremitenkommunität zusammenschlossen – jungen Männern, die es mitten in der lauten, waffenklirrenden Kirche ihrer Zeit in die Stille zog. Sie tauschten Pilgerkleid und Kreuzfahrerrüstung gegen die „Waffenrüstung Gottes“ (Eph 6,11) ein und wollten fortan das Evangelium zur Richtschnur ihres Lebens machen.
Elija
In Elija, der nach biblischer Überlieferung zweitausend Jahre vor ihnen an denselben Ort gekommen war, fanden sie zudem ein Leitbild vor, an dem sich ihre neue Lebensform orientieren konnte. „Der Herr der Heerscharen lebt, Israels Gott, und ich stehe vor seinem Angesicht“ (1 Kön 17,1), hatte Elija gesagt. Wie er wollten auch sie „vor dem Angesicht Gottes stehen“, mit Gott als einer lebendigen Wirklichkeit, als einem personalen Gegenüber leben. Als sie sich von ihrem Bischof in Jerusalem eine Ordensregel erbaten, ging es ihnen nicht zuerst um die Festschreibung besonderer Zeiten für das „geistliche Leben“. Sie wünschten sich vor allem eine Beschreibung ihrer Spiritualität, aus der sie den gesamten Lebensalltag geistlich leben wollten: Ob während der „geistlichen Übungen“ oder während der täglichen Arbeiten – es gilt, so wussten sie, sich die Gegenwart Gottes zu vergegenwärtigen und mit dem auferstandenen, lebendigen Christus durch den Tag zu gehen, aktiv zu sein in der Kontemplation und kontemplativ in den Aktionen.
Maria
Eine Marienkirche aus dem 5. Jahrhundert, deren Grundmauern die Eremiten auf dem Karmel vorfanden, war der äußere Anlass, sich ausdrücklich auch an Maria zu orientieren. An ihr konnten sie ablesen, wie man sich ganz der Wirklichkeit Gottes öffnen und in immerwährender Verbundenheit mit ihm leben kann. Sie sahen in Maria ihre „Patrona“, die Erste in ihren Reihen; sie nannten sie „Schwester“, sich selbst schon bald „Brüder unserer Lieben Frau vom Berge Karmel“. Wie Maria und mit Maria in Gott das DU finden – das ist bis heute der Grundzug karmelitanischer Spiritualtät.
Entwicklung der Klöster
Als im Laufe des 13. Jahrhunderts die politischen Umstände den neuen Orden zwangen, Palästina zu verlassen, fanden die Karmeliten, wie man die Mönche nun nach ihrem Ursprungsort nannte, schnell Verbreitung in den westlichen Ländern der christlichen Welt. Ähnlich wie die Franziskaner und die Dominikaner, wurden sie auch als Seelsorger tätig. „Beten und Beten lehren“ wurde das Leitmotiv ihres Lebens und Wirkens. Im Umfeld ihrer Klöster gab es bald Gläubige, die sich von ihrem Geist inspirieren ließen; hier liegen die Wurzeln der Laiengemeinschaft, die heute zum Orden des Teresianischen Karmel gehört. Im 15. Jahrhundert begannen die ersten Frauengemeinschaften nach der Karmelregel zu leben. Karmelitinnenklöster entstanden.
Im 16. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Reformation, gründete in Spanien die Karmelitin Teresa von Ávila, unterstützt durch den Karmelitenpater Johannes vom Kreuz, einen neuen Ordenszweig, den „Unbeschuhten Karmel“. Beide Ordensgemeinschaften, der Stammorden der Karmeliten und der Reformorden der Teresianischen Karmeliten – so ihre heutigen Namen – , sind seither durch diese beiden spanischen Mystiker und Kirchenlehrer spirituell geprägt.
Wie Maria und mit Maria in Gott das DU finden – das ist der Grundzug der karmelitanischen Spiritualität.
Heilige, die unsere Spiritualität besonders geprägt haben
Inneres Beten
Inneres Beten ist Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.
Teresa von Ávila
Gott nur genügt!?
Nichts soll dich verstören, nichts dich erschrecken, alles vergeht, Gott ändert sich nicht. Geduld erlangt alles; wer Gott hat, dem fehlt nichts: Gott nur genügt – genügt nur Gott?
Heilige, die unsere Spiritualität besonders geprägt haben
Teresa von Ávila (Teresa von Jesus)
Eine besondere Prägung hat diese Spiritualität durch Teresa von Ávila (1515-1582) erfahren. Sie beobachtete an Jesus, dessen Leben sie immer wieder meditierte, wie er sich Gott zuwendet, ihn Abba (lieber Vater) nennt, ehrfürchtig tiefen, vertrauten Umgang mit ihm pflegt und zugleich ganz dem jeweils Nächsten zugewandt ist.
Der Jesus von damals ist für sie „derselbe, vor dessen Angesicht ich stehe“, er ist der auferstandene Christus von heute. „Auch mir ist er ein Freund“ – das war die große Entdeckung Teresas nach fast zwanzig Klosterjahren! Gründlich und mit bestechender Ehrlichkeit hat sie in ihren Schriften den Weg beschrieben, den sie von beengenden und angstmachenden Gottesvorstellungen hin zur Freundschaft mit Gott gegangen ist. In dieser Freundschaft versuchte sie fortan zu leben. An die Stelle ihrer Unzufriedenheit trat eine innere Zweisamkeit. Sie bekam eine ganz neue Sicht vom Glauben, vom Beten, von der Eucharistie und den Sakramenten, von der Kirche.
Geistliches Leben wird nun für sie „wie ein Umgang mit einem Freund, mit dem wir oft und gern zusammenkommen, von dem wir wissen, dass er uns liebt.“ Auch für Teresa ist das Leben mit Gott nicht auf Gebetszeiten beschränkt. „Christus ist auch zwischen den Kochtöpfen“, sagt sie. Es gibt keine Trennung von Kontemplation und Aktion. Geistliches Leben ist kein zeitlich begrenzbares Tun, sondern eher eine Einstellung und eine Lebensform, eine neue Art und Weise zu denken, zu fühlen, zu handeln und zu sein. Im Leben Jesu findet sie ihre Schule der Freundschaft mit Gott und den Menschen.
Wenn ihr verpflichtet seid, äußere Aufgaben zu übernehmen, so bedenkt, dass euch der Herr auch in der Küche inmitten der Kochtöpfe nahe ist und euch sowohl innerlich wie äußerlich beisteht.
Johannes vom Kreuz
Johannes vom Kreuz (1542-1591) hat der Spiritualität des Karmel die notwendige theologische Fundierung gegeben. Er sieht das menschliche Leben als einen Entwicklungsprozess, als eine „Angleichung an Christus“ und „Umformung auf Gott hin“, als ein Reifen und Werden auf die Vollendung in der Ewigkeit hin. Glauben heißt für ihn, sich bewusst auf diesen Reifungsprozess einzulassen: eigene Wünsche und Pläne zurückstellen, Meinungen und Überzeugungen anfragen lassen, Gewohnheiten ändern, Vorstellungen von Gott, vom Gebet, vom Glauben revidieren, stets neu lernen und umlernen, offen bleiben für das, was dem Geist Gottes entspricht.
Von besonderer Bedeutung ist seine Lehre von der „dunklen Nacht“ geworden. Die Erfahrung „ich kann nicht mehr beten“ oder „in mir ist alles trocken und leer“ muss nicht Folge mangelhafter Frömmigkeit sein. Sie ist im Gegenteil oftmals eine Gnadenwirkung Gottes: In seiner Lichtfülle wendet sich Gott dem Menschen zu, der aber bleibt geblendet im Dunkeln. Auch und gerade die Nichterfahrung Gottes ist daher Gotteserfahrung, ist intensive Läuterung, die aus religiösen Fixierungen befreit und zur Liebe fähig macht.
Das Zentrum der Seele ist Gott. Wenn sie ihn liebt mit allen Fasern ihres Seins, mit der ganzen Kraft ihres Tuns und Wünschens, gelangt sie zu ihrer tiefsten Mitte.
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Thérèse von Lisieux
Thérèse von Lisieux (1873-1897) hat die Spiritualität des Karmel durch ihren „Kleinen Weg“ bereichert: Es kommt im Leben mit Gott nicht darauf an, ohne Fehler zu sein; Gott erwartet weder Perfektionismus noch heroische Taten, er will nichts anderes, als dass ich mich ihm zur Verfügung stelle, so wie ich heute gerade bin. In einer echten Freundschaft zählt nicht die Leistung, sondern „allein die Liebe“. Es kann nicht ausbleiben, dass eine solche Art mit Gott zu leben, zu einer Erkenntnis führt, zu der die Heiligen des Karmel auf je unterschiedliche Weise durchgestoßen sind: Das göttliche DU, zu dem sie aufblickten, offenbarte sich ihnen als ein Ihr, als Dreieinigkeit Gottes.
Die Heiligkeit besteht nicht in dieser oder jener Übung. Sie besteht in einer Herzensbereitschaft, die uns demütig und klein in den Armen Gottes macht.
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Selige Elisabeth von der Dreifaltigkeit
Elisabeth von Dijon (1880-1906), die im Kloster den Namen „von der Dreifaltigkeit“ trägt, hat in ihren Tagebüchern und in einer sehr umfangreichen Korrespondenz wohl am ausdrücklichsten davon gesprochen, dass Gott Gemeinschaft ist und geistliches Leben zur Teilnahme am “Fest der Drei” werden kann. Eine solche Entdeckung hat ihre Auswirkungen: Die Mitschwestern im Kloster und die Menschen in der Welt rückten ihr von einem neuen Ansatz her in den Blick.
O mein Gott, Dreifaltigkeit, die ich anbete: Hilf mir, mich ganz zu vergessen, um mich in Dir niederzulassen, regungslos und friedvoll, so als weilte meine Seele bereits in der Ewigkeit.
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Edith Stein
An ihr wird auf besondere Art deutlich, dass die Großen des Karmel und ihre Spiritualität nicht allein dem Karmelitenorden, sondern allen Suchenden gehören.
Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob ihm das klar ist oder nicht.